7000 Infizierte und der Kollaps des Gesundheitssystems?

smiley-1914523_1280

Pseudoexperten und warum man ihnen nicht glauben sollte.

Heute veröffentlicht ORF.at wieder einen reißerischen Artikel mit dem Titel „Experte warnt vor ähnlicher Entwicklung wie 2020“. Diesmal ist der Experte von ORFs Gnaden der „Simulationsforscher“ Martin Bicher, der wie folgt zitiert wird: „Laut AGES-Zahlen gab es zuletzt zwar die meisten Neuansteckungen in der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren, doch Simulationsforscher Martin Bicher von der TU Wien warnt vor dem „Überschwappen“ auf vulnerable Altersgruppen und erinnert an die Entwicklung im Vorjahr.

Aktuell habe die vulnerable Bevölkerungsgruppe im Alter von 60 Jahren und darüber noch weniger als zehn Prozent Anteil am Fallgeschehen und eine kaum sichtbar wachsende Dynamik, führt der Experte von der Technischen Universität gegenüber der APA aus.

[…]

Er verweist dabei auf die aktuellen Intensivbelagszahlen aus Großbritannien, die inzwischen mit leichter Verzögerung langsam steigen. Würde das auch in Österreich erfolgen, so habe sich im Vergleich mit dem Vorjahr, „eigentlich nichts an den Kapazitätslimits geändert“, und da wurde es mit rund 2.000 bis 4.000 täglichen bestätigten Neuinfektionen „langsam enger“, und bei spätestens 7.000 ging es in die Nähe der Auslastungsgrenze.“[Quelle: orf.at, https://www.orf.at/#/stories/3221288/ abgerufen am 16.7.2021]

Überprüfen wir diese Aussage. 7.000 tägliche Neuinfektionen klingt viel. Doch recht genau diesen Wert hatten wir bereits im November 2020, als Spitzenwert. Die Lage in den Krankenhäusern war tatsächlich angespannt. Die Menschen die hospitalisiert wurden, waren fast ausnahmslos Menschen die zu den sogenannten Risikogruppen gezählt werden können. Das Durchschnittsalter war weit jenseits der 60er. Todesraten waren gerade zu dieser Zeit hoch und nach wie vor stammt die Anzahl der Toten maßgeblich aus dieser Zeit. Als vor allem in Pflegeheimen schwer kranke Menschen starben, weil staatliche Institutionen es vorzogen Massentestungen (in Wien im Austria Center, Stadthalle und Marxhalle) mit überschaubarem Andrang durchzuführen, statt genau jene Einrichtungen zu schützen, die die Risikogruppen beherbergten. Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, der für eine große Zahl an Fehlentscheidungen persönlich verantwortlich ist, meinte damals es würde an Ressourcen fehlen diese Gruppen zu schützen. Das Ergebnis ist bekannt: Viele Tote und Herr Hacker ist immer noch im Amt und glänzt durch weitere Fehlentscheidungen.

Wie sieht die Situation heute aus? 44% der Bevölkerung sind vollimmunisiert und 57% haben eine Teilimpfung erhalten. [Quelle: orf.at https://orf.at/corona/daten/impfung abgerufen am 16.7.2021]. Doch was wesentlich relevanter ist, ist dass entgegen den öffentlichen Impfaufrufen und Panikmache insbesondere die Zahl der Impfungen bei jenen Bevölkerungsgruppen relevant ist, die im letzten Jahr das Gros der Patienten ausmachte. Dort haben wir es (zum Teil trotz Herrn Hacker, der in zahlreichen Bereichen den nationalen Impfplan ad absurdum geführt hat) endlich geschafft, dass der Großteil der Menschen tatsächlich geimpft ist. Covid 19 ist eine Erkrankung, die eindeutig in sehr hohem Ausmaß Menschen mit schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, betrifft. Auch wenn viele Jemanden kennen, der diesem Kriterium nicht entspricht und trotzdem einen schweren Verlauf hatte, ist das - so schlimm es im Einzelfall ist - statistisch irrelevant. Jeder kennt wohl die Geschichte vom über 90-Jährigen der sein ganzes Leben geraucht hat.

Wir sind also Mitte 2021 in einer völlig anderen Situation als noch vor einem Jahr. Selbstverständlich begründet Herr Bicher, seine Aussagen nicht. Schlicht und einfach würde es ihm auch schwerfallen, da sie absurd sind.

Aber Herr Bicher ist ja „Experte“ und seine Meinung wird auf ORF.at veröffentlicht, also muss doch etwas dran sein. Offenbar ist das die Idee jener „Meinungsmacher“ die, vielleicht mit guter Absicht, seit über einem Jahr Zahlen manipulieren und manipulative Berichterstattung, über Einzelfälle und „Meinungen“, als Fakten verkaufen.

Ah ja, da gibt es ja auch noch die „Delta-Mutation“! Die ja um 60% ansteckender sein soll und gegen die auch noch nur beide Impfungen helfen (eine sehr dumme Aussage, da sich die Immunsysteme von Menschen in ihrer Reaktion auf die Impfungen stark unterscheiden). Diese Geschichte, denn um so Eine handelt es sich, wurde verbreitet als die Impfbereitschaft nach der ersten Teilimpfung deutlich abnahm, da die erwünschten Freiheiten schon 22 Tage nach der ersten Impfung erreicht waren. Als es also zusätzlicher Motivation bedurfte um Menschen dazu zu bringen die zweite Teilimpfung zu holen. Natürlich bietet die zweite Impfung zusätzlichen Schutz, weswegen diese ja auch durchgeführt wird. Diese einfache Story, nur nach zwei Impfungen bist du auch gegen die ach so viel gefährlichere Delta-Variante geschützt, ist also in dieser Form unhaltbar. Ja die zweite Impfung bietet zusätzlichen Schutz aber es handelt sich nicht um eine schwarz-weiß Betrachtung, wie sie in so vielen Fällen in Bezug auf Covid verbreitet wird. Immun und Nicht-Immun, Ansteckend oder Nicht-Ansteckend, sind alles Bereiche die keine dichotomen Begriffe sind, sondern fließende Übergänge und Fragen von Wahrscheinlichkeiten. Ist man also mit zwei Impfungen gegen die Delta-Variante geschützt? Nein, aber die Wahrscheinlichkeit für eine Infektion und insbesondere einen schweren Verlauf sinkt. Diese einfachen Narrative dienen, wie so viele „Geschichten“ einem Zweck, von dem die Verantwortlichen wohl der Meinung sind, dass dieser Zweck die Mittel heiligt. Diese Menschen halten sich für gut und für Demokraten. Sie sind Beides nicht. Sie sind die wirkliche Gefahr für unsere Lebensart und Demokratie. Nur gut und richtig informierte Bürger können mündige Bürger sein, wie sie in einer entwickelten Demokratie nötig sind. Oder wie Ingeborg Bachmann schrieb: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“.

Denken Sie bitte selbst darüber nach, ob die Meinung dieses „Experten“ plausibel ist! Das Risiko für Hospitalisierungen ist für Geimpfte und für junge Menschen um mindestens einen Faktor 100 höher als für die Gruppe, die vor einem Jahr die Betten in den Krankenhäusern belegten. Wieviel genau ist leider durch die Verschleierung der Daten bzw. deren Geheimhaltung schwer zu berechnen. Das ist eigentlich eine einfache Simulationsrechnung, ein Taschenrechner reicht. Mit der Aussage “Experte zeigt, dass das Erreichen der Kapazitätsgrenzen sehr unwahrscheinlich ist“ würde er aber seine 5 Minuten Ruhm wohl nicht bekommen.

Kontaktinfo

gros@gros.at

c/o factor happiness Training & Beratung GmbH

+43 (0)1  997 19 19

Abonniere meinen Blog