Die Realität der Erwachsenenbildung

Jenseits des Elfenbeinturmes

Dieser Blog ist eigentlich ein Artikel für die Zeitschrift Erwachsenenbildung.at, deren Herausgeber das Bundesministerium für Bildung ist. Also genau jenes Ministerium, das massgeblich an all diesen Misständen schuld ist. Dementsprechend wurde mein "Pamphlet" selbstverständlich nicht veröffentlicht.

Bildung ist wichtig und das aus vielerlei Hinsicht. Phrasen vom lebenslangen Lernen in der VUKA-Welt - um agile zu sein und die digitale Transformation zu bewältigen - geistern durch alle Medien. Bildungswissenschaftler*innen beschäftigen sich mit Luftschlössern wie ECTS, NQR oder Ideologien, während diese Konzepte in der „echten“ Welt längst pervertiert wurden. Glauben Sie mir nicht? Sie meinen, ich übertreibe?

Der Aufschwung der (massiv überteuerten) Privatuniversitäten ist das Requiem des tertiären Bildungssektors, in dem immer mehr praktische Berufsausbildungen in akademischen Mäntelchen daherkommen, denn die „Akademisierung von eigentlich allem“ ist offenbar das Ziel. Nach dem alten Universitätsgesetz waren es die sogenannten „Weiterbildungsmaster“, an denen die Pervertierung des ECTS-Systems augenfällig wurde, wo für zwei Wochenendseminare und eine fragwürdige akademische Arbeit 60, 90 oder sogar 120ECTS vergeben wurden. Für eine gleichwertige und gleichaufwändige außeruniversitäre Leistung gibt bei einer Überprüfung durch die WBA gerade einmal 35 ECTS. Das Ergebnis war somit eine inflationäre Verteilung von Mastertiteln, die sich praktischerweise auf der Visitenkarte nicht von „echten“ Mastertiteln unterschieden. So wurden endlich jede Menge Menschen, gegen Einwurf von wenig Leistung und einigem Geld zum Wohle der Universitäten bzw. deren ausgelagerten Gelddruckmaschinen, zumindest am Papier Akademiker. Während man für Medizin eine nicht valide Kick-out-Prüfung bestehen muss, um endlich eine Ausbildung in einem Mangelberuf zu machen, wo mittlerweile ernsthaft diskutiert wird, ob man den Zugang für alle erleichtert, die sich danach zu einer Art Sklaventätigkeit verpflichten, kann man als Kind reicher Eltern den akademischen Abschluss in Medizin deutlich einfacher erwerben. All das mit dem Segen der AQ-Austria. Die Zweiklassengesellschaft ist in diesem Bereich längst traurige Realität.

Doch es gibt noch eine weitere Zweiklassengesellschaft im Bereich der Erwachsenenbildung. Neben dem staatsnahen akademischen Bereich (denn auch die Vertreter der Privatuniversitäten sind ziemlich staatsnahe) gibt es einen zusätzlichen Bereich, den der geschützten staatsnahen Bildungseinrichtungen, die den Markt massiv verzerren. Die KEBÖ, die „Konferenz der Erwachsenenbildung Österreichs“ (die praktischerweise 1972 gegründet wurde) und deren Mitglieder wurden 1973 im Erwachsenenbildungs-Förderungsgesetz als österreichischen Erwachsenenbildungsverbände anerkannt. Allen voran sind hier die der Wirtschaftskammer nahestehenden und damit leicht dem politischen Einflussbereich zuzuordnenden WIFI und BFI, aber auch die Volkshochschulen zu nennen, die tatsächlich einen großen Bereich der Erwachsenenbildung abdecken und damit quasi verstaatlichen. Diese sind nicht gewinnorientiert und sind dementsprechend nicht auf die Rentabilität ihrer Angebot angewiesen. Sie stehen damit in einer unfairen Konkurrenz von tatsächlich privatwirtschaftlich organisierten Firmen und Vereinen, die den Luxus der Quersubventionierung nicht haben. Die KEBÖ vertritt aber keineswegs den gesamten Zelter der Erwachsenenbildung. Tausende Menschen arbeiten in Organisationen, die trotz dieser Marktverzerrung ihren Beitrag zu guter Erwachsenenbildung beitragen. Diese sind durch die Marktverzerrung massiv strukturell benachteiligt.

Bleibt noch ein dritter Bereich der bildungswissenschaftlichen Luftschlösser, dem ich mich widmen will, dem NQR. Am 24.2.2016 wurde das NQR-Gesetz vom Nationalrat beschlossen, am 15.3.2016 trat es in Kraft. Der NQR ist eigentlich nur ein Vehikel, um Qualifikationen international vergleichbar zu machen. Ein Nebenprodukt dieses Vehikels ist die nationale Vergleichbarkeit ziemlich unvergleichbarer Dinge. Man war bestrebt, praktische handwerkliche Qualifikationen, wie einen Meistertitel im Handwerk, mit akademischen Qualifikationen gleichzustellen. Ziel war vermutlich eine Aufwertung des Ansehens des Handwerks, worauf auch der Titel „Meister“, der gleichzeitig eingeführt wird, hinweist. Österreich ist eben das Land der Titel. Neben diesen kraft Gesetzes verorteten akademischen Titeln und dem Meister können Berufsvertretungen, Ausbildungsinstitute usw. ebenfalls in einem ziemlich aufwendigen Prozess ihre Berufe und Ausbildungen in den NQR einreihen lassen. Hier stellt sich zuerst die Frage der Sinnhaftigkeit bzw. der Notwendigkeit. Sprich: was bringt der NQR? Die Antwort ist ziemlich einfach, denn es bringt nichts außer viel administrativem Aufwand. Was zur nächsten Herausforderung führt, die schnell deutlich wird, wenn man sich ansieht, was schon alles im NQR gelandet ist. Neben den gesetzlich eingeordneten Bereichen gibt es vor allem staatliche und staatsnahe Einrichtungen und Verbände, die eine Eintragung beantragen, wie z.B. der österreichische Alpenverein, der eine Reihe von Qualifikationen eintragen ließ.

Wirklich seltsam wird es aber, wenn der NQR auf realpolitische Macht trifft. So wurde am 13. September 2023 die Qualifikation „Befähigungsprüfung“ dem NQR-Niveau 6 im Verbund zugeordnet. Das bedeutet 31 Berufe mit Befähigungsprüfung, die sich signifikant in Ausbildungsaufwand und -dauer unterscheiden, wurden einem Bachelor oder einem Handwerksmeister gleichgestellt. Exemplarisch mag hier der Beruf der Bestatter herhalten, bei dem es lediglich zwei Jahre Praxis und die Befähigungsprüfung braucht, um nun „staatlich geprüft“ und auf NQR6 zu sein. Während also Studenten mindestens drei Jahre Vollzeit studieren, zahlreiche Prüfungen ablegen, eine wissenschaftliche Arbeit und eine Prüfung absolvieren, Handwerksmeister eine Lehre, Lehrabschlussprüfung, Gesellenzeit, und Meisterprüfung benötigen muss man in anderen Berufen lediglich einen (fragwürdige) Prüfung absolvieren und zwei Jahre „Praxis“ nachweisen. Man kann als Österreicher spekulieren, wie es zu so einer Vorgehensweise kommen kann, die den NQR ad absurdum führt. Ich habe angemerkt, dass der NQR nichts bringt. Tatsache ist, dass er leider sogar schädigt. Das allerdings indirekt. Im Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung, auch eines der im Verbund zugeordneten Berufe, wurde das Ziel, auf NQR 6 verortet zu werden, gepaart mit großer Unwissenheit über das System des NQR als Grundlage für einen verschärften und vor allem akademisierten Zugang zum Gewerbe verwendet. Mit dem nun eingelösten Versprechen, mit einer massiven Verlängerung (und Verteuerung) der Ausbildung, dann mit einem Bachelor vergleichbar zu sein, wurde eine neue Ausbildungsverordnung begründet. Viele Mitglieder der Branche haben verstanden, dass sie damit nun auch endlich Akademiker sind, was natürlich nicht zutrifft. Tatsache ist, dass nun mittels des neu eingeführten Nachfolgers der Weiterbildungsmasters, dem österreichischen Unikat des „Bachelor professional“ nun auch diese Ausbildung akademisiert und damit der Beruf faktisch zerstört wird, da nur sehr wenige Angebote, die deutlich teurer als bisher auf den Markt kommen. Ob die Qualität, wie die politischen Proponenten dieser Maßnahme das Versprechen, tatsächlich steigt, darf bezweifelt werden. Eine akademische Ausbildung ist nämlich nicht per se besser als nichtakademische. Es kann berechtigt bezweifelt werden ob das selbst im Durchschnitt gilt. Das Ziel, Menschen, die keine Matura haben, den Zugang zum tertiären Bildungssystem zu öffnen ist löblich und sinnvoll. Das gesamte, ach so differenzierten Bildungssystem durchlässiger zu machen ist höchst sinnvoll. Tatsächlich stellen die Berufsreifeprüfung und die vorwissenschaftliche Arbeit die größten Fortschritte im Bildungssystem dar, was an sich schon einer Bankrotterklärung gleichkommt.

Wir sehen also, dass die Erwachsenenbildung in Österreich zwischen blanker bildungswissenschaftlicher Theorie ohne jeden Praxisbezug und der harten, gesellschaftlichen Realität - der politischen Machtausübung - zerrissen wird. Dass die Erwachsenenbildung damit ein ähnliches Schicksal erfährt wie die Schulen tröstet dabei nicht. Statt sinnhafte, praktische Ziele für die (Erwachsenen-)Bildung zu definieren und möglichst gute Umsetzungsstrategien zu finden - bestenfalls unter Einbeziehung aller relevanter Gruppen - erleben wir politisch geprägte Machtspiele der üblichen Protagonisten. Es wird Zeit, dass die Politik und die von ihnen gesteuerten Interessensvertretungen aufwachen, aber auch, dass die Träumer im Elfenbeinturm der Bildungswissenschaften einmal einen Fuß vor die Türe setzen.

Kontaktinfo

gros@gros.at

c/o factor happiness Training & Beratung GmbH

+43 (0)1  997 19 19

Abonniere meinen Blog