Reaktanz - Warum die „letzte Generation“ das Allerletzte ist

Wie schon Aristoteles sagte, wird jede gute Sache in der Übertreibung zur Schwäche. Vielen guten Ideen wird durch miserable Umsetzung von ideologisch Verblendeten geschadet. Das geht meist noch mit einer Ideologisierung und der vermeintlich moralischen Überlegenheit der Held:innen, die für die ach so gute Sache kämpfen, einher.

Man kann das in diversen gesellschaftlichen Bereichen feststellen, in denen sehr laute, teils radikale Minderheiten sich für grundsätzlich gute Zwecke einsetzen und dafür Maßnahmen ergreifen, die andere schädigen und die als bevormundend und freiheitseinschränkend empfunden werden. Radikale aktuelle Beispiel sind die sogenannten „Klimakleber“ und die „Wokeness“-Bewegung. Gesellschaftlich handelt es sich um Randgruppen, die aber medial massiv überrepräsentiert werden und sich nicht nur in Social-Media besonders laut zu Wort melden, sondern auch in klassischen Medien umfangreich Raum erhalten. Ob des „guten Zwecks“ sympathisieren vor allem Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsprofilen, von denen viele journalistisch tätig sind.

Wir erleben eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Dabei geht es nicht (nur) um die klassische Spaltung in politische Lager, die wir mit „links“ und „rechts“ beschrieben, sondern auch und vermehrt um einer, durch soziale Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten ausgelöste Spaltung in „oben“ und „unten“. Die Corona-Pandemie und das weltweit durchaus verbesserungsfähige Maßnahmenmanagement haben diese Situation insbesondere in den Industrieländern verschärft. Das betrifft zahlreiche Aspekte des persönlichen Lebens. Da Corona nicht nur eine Krankheit ist, sondern die Haltung durch schlechte Kommunikation zu einer Ideologie wurde und Kritiker wurden zu Impfgegnern, Coronaleugnern und Verschwörungstheoretikern. Menschen, die die Maßnahmen verteidigten, zu Wissenschaftsgläubigern und Lemmingen. Alle beriefen sich auf irgendwelche „Experten“, die ihren 5 Minuten Ruhm witterten und medial omnipräsent waren. Viele waren in ihrer Expertise durchaus beschränkt und haben, auch hier unterstützt mit sensationsgeilen Medien, Meinungen als wissenschaftliche Fakten verkauft.

Dazu kam, dass Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung nicht sinnvoll erklärt wurden und so Menschen, die Angst hatten, nicht „abgeholt“ wurden. Angst ist mächtig und die Verantwortlichen schürten, wieder vermutlich mit guter Absicht, weitere Ängste. Wir erinnern uns an die Aussage eines mittlerweile der Korruption in vielen Bereichen verdächtigter Ex-Bundeskanzler, der uns mitteilte, dass wir wohl bald alle jemanden kennen würden, der an Corona verstarb. Neben der geschürten Angst vor der Krankheit, kam aber noch die Angst um die eigene Existenz. Viele „Parteifreunde“ wurden umfassend gefördert, wohingegen viele Kleinbetriebe und Einpersonen-Unternehmen vergeblich oder sehr lange auf Unterstützung warten mussten. Banken lösten die von den Politikern gemachten Versprechungen schlicht nicht ein und so begann die Kluft zwischen dem, was Politiker täglich medial verbreiteten und dem, was Menschen tatsächlich erlebten, auseinanderzugehen.

Die Kommunikation war wenig informativ und glich eher Propaganda. Gepaart wurde das durch zunehmenden Druck und Ausgrenzung jenen gegenüber, die den Vorstellungen von politisch Verantwortlichen nicht freudig nachkamen. Da die Unzulänglichkeiten der zum Teil wenig nachvollziehbaren Maßnahmen aber immer offensichtlicher wurden, diese aber mit „friss oder stirb“ bzw. „Impf“ oder „ertrage die Sanktionen“ statt mit Information und Überzeugungsarbeit umgesetzt wurden, erlebten Menschen immer mehr Einschränkungen persönlicher Freiheiten, Ignoranz gegenüber ihren Befürchtungen und Abwertung von subjektiven Standpunkten und Meinungen.

Menschen erleben gerne Kontrolle. Der Schweizer Kontrollpsychologe August Flammer meint, dass Menschen ein Kontrollgrundbedürfnis haben. Einschränkung von primärer Kontrolle führt zu einem psychologischen Phänomen, das Reaktanz genannt wird. Wir kennen das unter „Jetzt erst recht!“. Menschen wehren sich gegen Einschränkungen ihrer Kontrollmöglichkeiten. Wenn sie diese als sinnvoll erleben, werden sie toleriert, wenn nicht, schlichtweg abgelehnt. Wenn diese Einschränkungen aber durch Maßnahmen von Menschen verursacht werden, folgt der Frustration die Aggression gegen diese. Doch richtet sich dies nicht nur gegen Personen, sondern auch gegen Wirklichkeitskonstruktionen, also gegen Ideen, die diese Menschen ideologisch vertreten.

Kurz zusammengefasst nimmt dein Wille, etwas gegen den Klimawandel zu tun, ab, wenn du wegen Klimaklebern im Stau stehst. Je größer der individuelle Preis ist, umso aggressiver wird die Einstellung gegen die Ideen und deren Repräsentanten. Das betrifft nun nicht nur jene, die tatsächlich im Stau stehen, sondern auch alle, die sich mit jenen identifizieren. Schließlich könnte man ja morgen selbst einen wichtigen Termin versäumen, weil DIE hier so agieren. Kurz gesagt vermindern jene Radikalen, die hier andere schädigen, die Sympathien für die Sache und spalten die Gesellschaft. Diese Dynamik erleben wir in zahlreichen Kontexten, insbesondere auch im Bereich der „Wokeness“, wo gerade durch (radikale) Maßnahmen zur sinnvollen (!) Akzeptanz von sexuellen Identitäten, sexuellen Orientierungen und der Chancengleichheit der Geschlechter durch Übertreibung das eigentliche Ziel verhindert wird. Es geht längst nicht mehr um die Ziele, sondern um einen Machtdiskurs, den einige wenige auf Kosten der guten Sache zur Selbstdarstellung nutzen.

Erst diese Radikalen verursachen in großem Maß den Zulauf zu rechtspopulistischen Bewegungen. Statt Menschen zu überzeugen, um sie zu werben, wird mit dem moralischen Hammer Druck aufgebaut. Niemand hat diesen Leuten erklärt, dass Druck nur Gegendruck produziert und auf jeden Sympathisanten kommen drei, die man ins gegnerische Lager gedrängt hat. Denn WIR sind gut und die ANDEREN sind die Feinde! Wir sind erwacht (woke) oder die „letzte Generation“, die die Welt retten kann.

Völlig überrascht ist man, wenn man dann selbst zum Feindbild der Mehrheit wird, die man selbst geschaffen hat. Menschen, die dann vor Gericht ob der Vergehen gegen geltende Gesetze verurteilt werden, zeigen sich zum Teil höchst überrascht. Wenn man in einer Blase lebt, kann Kontakt mit der Außenwelt ziemlich verstörend wirken.

Ich persönlich verfolge diese Dynamik mit großer Besorgnis, führt sie doch zwangsweise zu einer Radikalisierung der Gesellschaft und extreme Exponenten werden dann schlussendlich wohl auch gewaltbereit. Was aber bei mir besondere Verwunderung verursacht, ist, dass beide Seiten kaum sinnvolle Maßnahmen umsetzen. Könnte man sehr einfach und günstig Handlungen setzen, die hilfreich wären, die kaum negative Konsequenzen haben? Als Fahrer eines Elektroautos sehe ich keineswegs ein, warum ich auf Autobahnen wegen (sehr geringer) Abgasemissionsreduktion nun 100 fahren sollte. Allerdings war es fast unmöglich, in einem Mehrparteienhaus auf eigene Kosten eine Ladestation zu installieren. Ich kann zwar Werbebanner bei meinen Fenstern aufhängen, aber keine gleich großen Photovoltaik-Panels ohne Genehmigung. In Wien könnten ziemlich einfach tausende Fassaden begrünt werden. Flachdächer könnten bepflanzt werden und vieles mehr. Natürlich wird es sicher sehr gute Gründe geben, warum das alles nicht geht. Möglicherweise scheitert es aber nur an den mangelnden Ideen der politisch Verantwortlichen. Schließlich wurde sogar das Gesetz geändert, damit ich meine „Wallbox“ nun legal betreiben kann.

Ein wunderbares Beispiel für unglaubliche politische Dummheit war die Idee der Impfpflicht. Zahlreiche Parameter von Cov19 waren bereits bekannt, als diese entbehrliche Diskussion geführt wurde. Wir wussten längst, dass Geimpfte die Krankheit trotzdem übertragen konnten, dass sie jedenfalls einen persönlichen Schutz darstellt, dass dieser aber auch nur begrenzt wirksam und die versprochenen Werte nicht oder nur sehr kurzfristig erreichte. Wir wussten, dass Cov19 für den Großteil der Bevölkerung keine wirkliche Bedrohung war (statistische Ausreißer ausgenommen), sondern vor allem alte Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen betraf. Trotzdem wollte man Menschen zu Massenimpfungen zwingen. Man schränkte ihre Autonomie ein und drängte sie sogar in die Kriminalität. Es zeigte sich, dass die Einführung der Impfpflicht schlicht nicht wirksam war. Im Gegenteil: sie schadete der Impfbereitschaft massiv. Auch in den Kreisen der Experten war die Maßnahme höchst umstritten, um es noch freundlich zu formulieren. Vor diesem Hintergrund ist die Einheit, in der die politischen Eliten, mit Ausnahme der dadurch massiv profitierenden Fundamentalopposition der FPÖ, höchst verwunderlich. Insbesondere die NEOS, für die Selbstbestimmung einer der obersten Werte ist, stellten sich auf die Seite der Impfpflichtbefürworter und verspielten mit dieser Haltung viele Sympathien. Warum das passiert ist, kann man sich wohl nur mit machtpolitischen Überlegungen innerhalb der Partei erklären.

Der autoritäre Zugang zur Politik, den wir von einem Viktor Orban kennen, und den viele insbesondere in der ÖVP, aber auch der FPÖ sich wünschen, hat einen Preis. In diesen Systemen wird eben nicht geworben und überzeugt, sondern gespalten und kriminalisiert. Der Weg von Orban zu Putin ist kurz. Jene ideologischen Steigbügelhalter vom anderen Ende des Spektrums sind dann die ersten Opfer. Damit sterben nicht nur die guten Ideen, sondern viele Werte, für die wir in Mitteleuropa lange gekämpft haben. So pervers es klingt, aber die Klimakleber und Woken sind die besten Wahlhelfer dieser Rechtspopulisten.

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