SPÖ: Pfeif auf Machiavelli – ich will Luhmann!

von Manuela Mertl & Stefan Gros

Die SPÖ ist eine der staatstragenden Parteien der zweiten Republik. Seit 1945 war die SPÖ 61 Jahre in Regierungsverantwortung. Seit 2017 ist sie in Opposition, eine Rolle, die sie nie richtig ausfüllen konnte. Die Oppositionsrolle bietet eine Reihe von Gelegenheiten, insbesondere sich selbst zu reformieren und Missstände, die sich durch eine so lange Zeit an der Macht eingeschlichen haben zu korrigieren und das auch öffentlich zu bewerben. Man kann darstellen, dass eben nicht alle „da oben“ korrupt sind und ausschließlich im Eigeninteresse agieren. Man kann Maßnahmen der Regierung kritisieren, ohne es selbst besser machen zu müssen. Deshalb verlieren Regierungspartien üblicherweise tendenziell Stimmen, während Oppositionsparteien gewinnen. Wenn man selbst nicht an der Macht ist, kommt Machtmissbrauch schlicht seltener vor und das kann man nutzen. Selbstverständlich wäre es wünschenswert, dass ein solcher auch dann nicht vorkommt, wenn man selbst im Besitz der Macht ist, aber es zeigt sich, dass Macht fast immer korrumpiert. 

Also so gesehen eine ziemlich gute Ausgangslage, in der sich die Sozialdemokratie seit 2017, also immerhin seit 5 Jahren, befindet. Tatsächlich waren die letzten 5 Jahre von zahlreichen staatspolitischen Krisen gekennzeichnet, die durch FPÖ und ÖVP verursacht wurden. Ein Skandal jagte den nächsten. Die zweite Republik ist in zahlreichen Bereichen in einem bedauernswerten Zustand. Für eine Oppositionspartei ein gefundenes Fressen. Steht also ein Erdrutschsieg der SPÖ bei den nächsten Wahlen an? Weit gefehlt. Die SPÖ VERLIERT bei den letzten Landtagswahlen in Niederösterreich (als Oppositionspartei!) und in Kärnten (mit einem ziemlich populären Landeshauptmann) zum Teil massiv Stimmen. Wie ist das möglich?

Machiavelli lässt grüßen

Das Maß an „Politikverdrossenheit“ ist so groß wie nie und „Weißwähler“ sind mittlerweile die größte Wählergruppe. Wobei weiß wählen ja eigentlich im Sinne des Machterhalts von Politiker:innen ist, macht es doch das einzelne Mandat „billiger“. So bleibt es einfacher, den eigenen Machterhalt zu sichern. So hat auch kein einziger Skandal in den letzten Jahren irgendwelche relevanten Konsequenzen gehabt, sieht man von den Rücktritten von Strache und Kurz ab. Hätten „normale“ Bürger ähnliches Fehlverhalten gezeigt, wären sie wohl für viele Jahre strafrechtlich verurteilt worden. Wie kann es nun sein, dass die Bevölkerung nun diese Missstände ALLEN Politikern zuschreibt, statt sie auf die einzelnen verursachenden Personen, Gruppen und Parteien zu beziehen? Warum fühlen Bürger:innen, dass „die da oben“ eh alle gleich korrupt sind, obwohl das Niveau der Korruption unter ÖVP/FPÖ ein völlig neues, weil systematisch organisiertes, Niveau erreicht hat? Warum kann die SPÖ solches Fehlverhalten der anderen nicht nutzen?

Der italienische Schriftsteller Machiavelli definierte in seinem Werk „il principe“ (Der Fürst) (gedruckt 1531) Politik so: „Politik ist die Summe der Mittel, die nötig sind, um zur Macht zu kommen und sich an der Macht zu halten und um von der Macht den nützlichsten Gebrauch zu machen.“ Das heißt, wenn du mal an der Macht bist, dann gibst du die nicht mehr aus der Hand und kämpfst auf Teufel-komm-raus, dass du sie behältst.

Politik verleiht Macht. Macht ist per se weder gut noch schlecht, sondern ein Mittel, um Dinge zu gestalten. Es geht also darum, wie man Macht einsetzt. Viele Meschen haben ein ambivalentes Verhältnis zu Macht, haben sie doch schon zu oft erlebt, dass Macht eben missbraucht wird, und statt vorteilhafter Veränderungen für die Allgemeinheit („die Bürger:innen“) lediglich Partikularinteressen oder noch schlimmer, private oder persönliche Interessen bedient werden. „Die da oben richten es sich!“. 

Fakt: Der Zustand der SPÖ ist desaströs!

 

Es ist ein belegbarer Fakt, dass es der SPÖ nicht gelungen ist, sich als vertrauenswürdiges Gegenkonzept darzustellen. Es ist Ziel des politischen Wettbewerbs, bei Wahlen Stimmen zu maximieren. Man misst den Erfolg genau daran. Dieser Erfolg wird theoretisch durch die Attraktivität der Programme, praktisch durch die Attraktivität der Spitzenpersonen und das Maß, in dem man ihnen vertraut, bestimmt. Nach all diesen messbaren Indikatoren hat die SPÖ-Führung dramatisch versagt. So einfach ist das. 

Die öffentliche Darstellung der Sozialdemokratie ist verheerend. Sie ergeht sich öffentlich in Grabenkämpfen und Selbstzerfleischung. Die aktuelle Eskalation ist nur das Ende einer längeren Entwicklung. Dies auf ein Duell zwischen PRW und Doskozil zu reduzieren, greift bei weitem zu kurz. Alleine die Diskussionen, wie eine Entscheidung über den Parteivorsitz getroffen wird und wie offensichtlich persönliche Machtinteressen im Vordergrund stehen, ist beschämend. Die Spitzen-Funktionäre haben offenbar nicht verstanden, dass es eben nicht um die Frage „PRW oder Doskozil“ geht, sondern vermutlich eine deutliche Mehrheit insgesamt von der Art, wie die handelnden Personen agieren, abgestoßen sind. Vermutlich wünschen sich die meisten Mitglieder und auch eine große Zahl an Sympathisant:innen eine zukunfts- und lösungsorientierte, starke Sozialdemokratie, bei der es nicht um persönlichen Machterhalt, sondern um die Wiedergewinnung eines grundlegenden Vertrauens in die handelnden Personen geht. Das können weder die derzeitige Parteivorsitzende noch der burgenländische Landeshauptmann leisten. Sie sind Exponenten einer von der breiten Mehrheit abgelehnten Politikkonzeption, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. 

Die politische Grundhaltung des burgenländischen Landeshauptmannes ist mit den Grundwerten der Sozialdemokratie unvereinbar und der Stil, wie er der eigenen Partei geschadet hat, macht ihn als Spitzenkandidaten untragbar. Nicht umsonst ist die Hymne der Sozialdemokratie die „Internationale“ und nicht die burgenländische Landeshymne. Auf der anderen Seite steht eine schwache Spitzenfunktionärin, die von einigen wenigen Vertreter:innen von Parteiorganisationen gestützt wird und die nicht (nur) durch die Querschüsse aus dem Burgenland „beschädigt“ ist. Sie hat schlicht und einfach nach allen Erfolgsindikatoren, die zuvor genannt wurden, in ihrer Aufgabe versagt. Dabei ist die oft diskutierte Geschlechterfrage völlig irrelevant. PRW leitet die SPÖ und der Zustand ist desaströs. Das ist schlussendlich ihre Verantwortung. Der Versuch, die Führungsfrage auf ein Duell zu reduzieren und alle suggestiven Befragungsarten ist schon ein Armutszeugnis. Denn die Antwort auf die Frage „PRW oder Doskozil“ ist vermutlich: Weder noch! Es bedarf eines ehrlichen Neustarts der SPÖ abseits der Interessen der derzeit agierenden Spitzenfunktionär:innen. Die über 9.000 neuen Mitglieder, die, wenn auch vielleicht nur kurz, gewonnen werden konnten, zeigen, wie viel Interesse es an einer starken Sozialdemokratie gibt. Symptomatisch, wie hier mit der Meinung der Basis umgegangen wird, sind Aussagen des Bundesgeschäftsführers Deutsch. 

 

Was zu tun ist

Um nicht ähnlich zu agieren wie der burgenländische Landeshauptmann, der sich offenbar in der Rolle des „Balkonmuppet“ gefällt und der regelmäßig öffentlich Dreck auf seine eigene Organisation wirft, bedarf es nun konkreter Vorschläge, wie das bestehende System reformiert werden kann. Ob eine Wahl der Führungspersönlichkeit durch die Parteibasis wirklich die beste Lösung ist, darf getrost bezweifelt werden. Um eine Wahl zu gewinnen bedarf es nicht nur der Stimmen der eigenen Basis, sondern vor allem jener, die eben nicht im Kern der Wertebasis der Sozialdemokratie zu finden sind. Dem deutschen Systemtheoretiker und Soziologen Niklas Luhmann gilt nämlich: „Politik ist der Komplex sozialer Prozesse, die speziell dazu dienen, das Akzept administrativer (Sach-)Entscheidungen zu gewährleisten. Politik soll verantworten, legitimieren und die erforderliche Machtbasis für die Durchsetzung der sachlichen Verwaltungsentscheidungen liefern.“

Wäre das nicht schön? Wäre es nicht erfreulich, wenn Politik das zumindest versucht zu erreichen? Was müsste dazu tatsächlich passieren?

In vielen Bereichen der Privatwirtschaft gibt es heute Prozesse, die sicherstellen sollen, dass Verantwortliche wenigstens eine gewisse Grundkompetenz für ihre Aufgaben haben. Sie müssen ihre Kompetenz nachweisen, sich Hearings stellen. Eine der Auflagen in börsennotierten Unternehmen ist, dass sich die Vorstände und Aufsichtsräte einem sogenannten „fit and proper“-Test unterziehen müssen. Als höchste Verwaltungsangestellte des Staates sollte man verlangen können, dass beispielsweise Minister (oder Nationalräte) ein Mindestmaß an Wissen über Verwaltungs- und Verfassungsrecht haben. Kenntnisse aus dem Bereich des übernommenen Resorts wären extrem wünschenswert. Viele von uns denken noch mit einiger Romantik an die Zeit der „Beamtenregierung“ zurück, in der Menschen Ressorts geleitet haben, in denen sie auch Expertise nachweisen konnten. Ist es wirklich so absurd, dass die Führung unseres Landes basale Kompetenzen in diesen Bereichen nachweisen muss?

Der Umgang mit Macht ist ein weiteres Kriterium für gute Politik. In der Psychologie kennt man das Konzept der „dunklen Tetrade“, einer Kombination von vier dysfunktionalen Persönlichkeitseigenschaften, die leider im Topmanagement und der Politik besonders häufig vertreten sind. Dazu gehören Narzissmus, Machiavellismus, Psychopathie und Sadismus. Es gibt einige psychologische Tests, um Menschen zu identifizieren, die solche Eigenschaften sehr hoch ausgeprägt haben. Solche Personen sind schlicht keine guten Politiker, streben sie Macht doch aus sehr persönlichen Gründen an und ihr Umgang damit produziert viel Leid. In vielen Bereichen müssen Menschen in Österreich psychologische Test absolvieren, warum nicht, wenn es um die wichtigsten Positionen in diesem Land geht?

Schlussendlich bedarf es in diesem Land eines Schubs an Transparenz und ehrlicher Kontrollmechanismen der politisch Verantwortlichen. Auch in diesem Bereich hat die SPÖ bisher keine Vorreiterrolle übernommen. 

Die Sozialdemokratie ist schon ihrem Namen nach dem Gemeinwohl verpflichtet und nicht dem Eigenwohl. Es wird Zeit, dass sich ihre Funktionär:innen das wieder zu Herzen nehmen bzw. Personen in verantwortungsvolle Positionen kommen, die dem auch Rechnung tragen. In jeder Krise liegt bekanntlich auch eine Chance. 

Kontaktinfo

gros@gros.at

c/o factor happiness Training & Beratung GmbH

+43 (0)1  997 19 19

Abonniere meinen Blog